Zwischen Sinn und Bedeutung – Eine Einführung in das Definieren von Wörtern
In Diskussionen, Denkspielen und weiteren kommunikativen Aktivitäten mit anderen Menschen kommt es häufig vor, dass man vom eigentlichen Thema abschweift und stattdessen über die genaue Bedeutung oder Definition eines Wortes debattiert. Dieses Essay versucht eine Einführung darin zu geben, wie Wörter (bzw. Begriffe) in der Philosophie definiert bzw. analysiert werden.
Ein Beispiel ist die Frage, ob AfD-Wähler Nazis sind. Die Frage warf Uneinigkeit auf, denn die Definitionen von Nazi gingen auseinander. Ein weiterer Fall war ein Zitat aus einer Kantinenkarte, dort gab es “Hamburger mit Sesambrötchen”, was zur Frage führte, was wir unter einem Hamburger verstehen, denn der Kollege hatte bei dieser Beschreibung einen Hamburger im Kopf, welcher der Belag eines Sesambrötchens war. Die Formulierung “mit Sesambrötchen” ist durchaus missverständlich gewählt und könnte nahelegen, dass es zu diesem Hamburger ein Sesambrötchen zusätzlich dazu gibt.
Was sind Wörter?
Wörter sind Zeichen, die auf etwas verweisen oder eine Information übermitteln. Dabei wird unterschieden zwischen dem Sinn und der Bedeutung eines Wortes 1.
Der Sinn ist der gedankliche Inhalt - im Sinne von Information - des Wortes, die Bedeutung ist seine konkrete Referenz in der Welt. Gottlob Frege (1848 - 1925) welcher diese Unterscheidung entwickelte, benutzte ein einleuchtendes Beispiel: Morgenstern und Abendstern haben beide dieselbe Bedeutung, nämlich den Planeten Venus, aber unterschiedlichen Sinn. Dasselbe gilt für “Walter White” und “Heisenberg”. Beide Namen verweisen auf dieselbe Person, sie haben also die gleiche Bedeutung/Referenz, aber sie vermitteln unterschiedliche Informationen (Sinn). “Walter White”, nennt den Familienvater und Lehrer. “Heisenberg” den genialen Methkoch.
Weiterhin hängt die Bedeutung von Wörtern stark vom Kontext ihrer Verwendung ab, diese Theorie entwarf Ludwig Wittgenstein (1889 - 1951) und nannte sie Sprachspiele 2. Das Wort “Hamburger” ist eine Äquivokation, denn es ist mehrdeutig. Jemand mit flachem Humor könnte beim obigen Beispiel den Witz bringen, eine Person aus Hamburg sei zwischen den Sesambrötchenscheiben. Die Bedeutung des Wortes “Hamburger” ist stark abhängig davon, wo, wie und mit wem wir es aussprechen. Dasselbe beim Begriff “Nazi”, hier ist zwar die Definition deutlich klarer, dennoch kann es stark abweichen, wie das Wort aufgenommen wird: negativ, positiv, in geschichtlichem oder modernem Kontext.
Wie definiert man Begriffe?
Aus den Theorien von Frege und Wittgenstein lässt sich ableiten, dass eine Definition von Wörtern nicht statisch ist, sondern kontextabhängig und davon beeinflusst wird, welche Informationen und welche Referenzen (Bedeutung) wir aussagen wollen. Das heißt: Bevor wir ein Wort definieren, sollten wir uns darüber klar sein, in welchem Zusammenhang wir es verwenden. Wörter sind aber nur Zeichen, die, je nach Kontext, auf einen bestimmten Begriff zeigen. Genau genommen wollen wir also nicht ein Wort, sondern den Begriff dahinter analysieren bzw. definieren.
Jonas Pfister verfolgt den modernen Begriffsanalyseansatz der analytischen Philosophie und beschreibt in seinem Buch “Werkzeuge des Philosophierens” 3 das Vorgehen einer Begriffsanalyse in sieben Schritten:
- Das Analysandum bestimmen
- Die Form des Analysandums mit Variablen deutlich machen
- Eine Hypothese für das Analysans formulieren
- Die extensionale Adäquatheit des Vorschlags mittels Beispielen prüfen:
a) Gibt es ein Ding, das unter den Begriff fällt, das aber die vorgeschlagene Bedingung nicht erfüllt? Falls ja, ist die Analyse zu eng.
b) Gibt es ein Ding, das die Bedingung erfüllt, das aber nicht unter den Begriff fällt? Falls ja, ist die Analyse zu weit.- Die Schritte 3 und 4 so lange wiederholen, bis der Vorschlag extensional adäquat ist
- Die intensionale Adäquatheit der Hypothese prüfen: Entspricht die Bedeutung des Analysandums der Bedeutung des Analysans?
- Prüfen, ob die drei klassischen Definitionsregeln: Klarheit, Kürze und Zirkelfreiheit befolgt werden.
In der Begriffsanalyse nennt man den zu analysierenden Begriff das Analysandum. Das Analysans ist die zugehörige Zerlegung oder Beschreibung (die wir hier erarbeiten wollen). Analog dazu spricht man in der Begriffsdefinition vom Definiendum und Definiens. Der Unterschied zwischen Definition und Analyse besteht darin, dass die Analyse den Begriff nicht nur definiert, sondern ihn auch durch eine detaillierte Untersuchung tiefergehend verständlich machen soll.
Unter Extension versteht man die Gesamtheit der Objekte, die unter den Begriff fallen, während die Intension die Merkmale beschreibt, aufgrund derer ein Objekt diesem Begriff zugeordnet wird.
Ein Wort wird definiert, in dem sein Analysans extensional so konstruiert wird, dass der zu definierende Begriff darunter fällt, aber nicht auch andere artenähnliche Entitäten einbezieht. Gleichzeitig darf die Definition nicht zu eng gefasst sein, sodass Entitäten, die eigentlich darunter fallen sollten, fälschlicherweise ausgeschlossen werden.
Versuchen wir das ganze mit dem Gericht des Hamburgers durchzuführen: Unser Analysandum ist “Hamburger”. Die Form dessen ist “x ist ein Hamburger”. Eine mögliches Analysans wäre:
“x ist ein Hamburger genau dann, wenn es ein Gericht oder ein Snack ist, welcher aus einem oder mehreren Hackfleischbratlingen zwischen zwei Scheiben weichem Brot besteht”.
Diese Definition wäre aber zu eng, denn auch Hamburger, die ein vegetarisches Patty, etwa aus Gemüse oder Erbsenprotein verwenden, sind Hamburger. Wir müssen allerdings aufpassen, die Definition nicht zu sehr zu öffnen, denn sonst laufen wir Gefahr, dass auch ein Schnitzelbrötchen die Bedingungen erfüllt und die Definition damit zu weit wäre. Nach reichlicher Überlegung – und der Hilfe von ChatGPT – kommen wir dann zu folgender Definition:
“x ist ein Hamburger genau dann, wenn x aus einem flach geformten, gebratenem Patty aus zerkleinertem Fleisch (üblicherweise Rindfleisch) oder einer pflanzlichen Alternative (z. B. aus Erbsenprotein oder Gemüse) sowie einem aufgeschnittenen Brötchen besteht, wobei das Patty beim Verzehr zwischen den beiden Brötchenhälften liegt”.
Prüfen wir diese Definition gegen Alltagsszenarien (Schritt 6), sieht es so aus, als wären wir am Ziel angelangt. Die Abgrenzung zu artenähnlichen wie einem Sandwich ist gegeben. Ein Sandwich hat zwar auch “zerkleinertes geformtes Fleisch” allerdings in Form von Wurst und nicht eines Patties. Ebenso liegt die Wurst zwar zwischen den Brotscheiben, beim Sandwich bestehen diese aber aus Toast. Ebenso in die andere Richtung: Erbsenproteinpatties, Gemüsepatties und andere Veggie-Alternativen sind geformt und gebraten und somit in unserer Definition eingeschlossen. Zu guter Letzt müssen die drei Definitionsregeln geprüft werden, die wir hier alle bestens befolgen.
Die Definition ist uns gelungen und mit dieser Definition im Hinterkopf klingt der Satz “Hamburger mit Sesambrötchen” gar nicht mehr so irreführend, denn mit “mit” ist eben gemeint, dass das Sesambrötchen das normale Brötchen, welches Teil der Definition ist, ersetzt. Korrekt wäre wohl “Hamburger mit Sesambrötchen statt normalen Brötchen”.
Begriff vs. Schimpfwort
Bei dem Begriff “Nazi” verhält es sich deutlich anders. Die historische und ideologische Bedeutung ist klar umrissen: Man versteht darunter entweder ein früheres NSDAP-Mitglied oder eine Person, die Kernmerkmale des Nationalsozialismus (Rassismus, Antisemitismus, Faschismus, …) befürwortet.
Demnach sind (einige) AfD-Wähler, die zum Beispiel aus Frustration und fehlgeleiteter Wut die AfD wählen, keine Nazis. In der Alltagssprache wird “Nazi” jedoch oft als Schimpfwort verwendet, um andere zu beleidigen oder zu diskreditieren – unabhängig davon, ob sie tatsächlich nationalsozialistisches Gedankengut vertreten.
Dieser Unterschied zwischen Definition und umgangssprachlichem Gebrauch zeigt sich hier deutlich.
Philosophisch betrachtet ist “Nazi” klar definiert und an gewisse ideologische Merkmale gekoppelt. Umgangssprachlich kann das Wort aber viel weiter gefasst und ungenauer (bis hin zu reinen Beschimpfungen) verwendet werden. Wer ernsthaft klären möchte, ob jemand ein Nazi ist, muss also prüfen, ob die Person tatsächlich die Ideologie-Bestandteile des Nationalsozialismus vertritt und nicht allein darauf schauen, ob sie im hitzigen Diskurs so genannt wurde. Die Frage wird dann noch komplexer, denn auch wenn jemand selbst kein Nazi per definitionem ist, aber die AfD wählt, dann unterstützt er Nazis per definitionem, macht ihm das nicht zu einem Nazi?
Fazit
Zum Ende muss auch gesagt werden, dass Definitionen nur funktionieren, wenn sie auch als Konventionen in gemeinschaftlicher Übereinkunft anerkannt werden.
Wörter definieren ist komplex und unsere Definition von Hamburger enthält Wörter, zum Beispiel “Patty”, die selbst definiert werden müssen, um zu absoluter Klarheit zu gelangen. Das zeigt, wie komplex die Sache ist, selbst unsere Beschreibung wie man Wörter definiert hatte es nötig, dass Wörter definiert und erklärt werden. Letztlich ermöglichen klaren Definitionen eine präzisere, verständlichere und fairere Diskussion, indem sie als solide Grundlage für den Austausch dienen und jeder, der ernsthaft Interesse an Diskussion hat, sollte die Grundlagen der Begriffsanalyse verstehen.